Rede beim Klimastreik in Wien am 25. September 2020
Ich bin Ökologe an der Universität Wien, und ein Sprecher des Österreichischen Biodiversitätsrats.
Ja, es gibt Lustigeres als bei strömenden Regen hier am Schwarzenbergplatz zu stehen. Mit Abstand. Aber, es gibt nichts wichtigeres, als hier zu sein! Und dieser Ort ist auch bestens geeignet für eine Kundgebung zur Umweltkrise. Denn hinter der Bühne befindet sich das Siegesdenkmal der Roten Armee, das daran erinnert, dass ein großer und lange Zeit übermächtig erscheinender Gegner – der Nationalsozialismus – letztlich besiegt wurde.
Heute befinden wir uns in keinem Krieg, sondern in einer tiefen und umfassenden Krise. Nennen wir sie die Zukunftskrise. Der Patient Erde befindet sich auf der Intensivstation. Die behandelnden Ärzte, nennen wir sie die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen, und viele Freunde der Erde, nennen wir sie Bürger und die Zivilgesellschaft, wissen um die Ursachen der sich zusehends verschlechternden Gesundheit der Erde: Artensterben, Raubbau an den natürlichen Ressourcen, ungehemmter Ausstoß an Treibhausgasen – so lautet die Diagnose.
Dazu drei Zahlen, um das Ausmaß dieser Zukunftskrise zu verdeutlichen:
- Eine Million Pflanzen- und Tierarten sind nach Schätzung des Weltbiodiversitätsrats vom Aussterben bedroht und werden das 21. Jahrhundert nicht überleben.
- In Österreich sind in nur 20 Jahren 40 % der Brutvögel verschwunden. Ausgeräumte Landschaften und Beton statt intakter Kulturlandschaften sind dafür verantwortlich. Statt Amsel, Drossel, Fink und Star der Stille Frühling.
- Hinzu kommt der unerbittlich voranschreitende Klimawandel. Österreichs Klimapolitik ist zum Schämen, kaum ein anderes Land der EU hat weniger in den letzten 20 Jahren für den Klimaschutz getan, und die Emissionen steigen immer noch.
Eine intakte Natur ist kein Beiwerk, auf das man nötigenfalls auch verzichten kann. Sondern, eine intakte Natur ist die Grundlage unserer Gesellschaft. Sie schützt vor Wetterextremen, sie ist die Basis unserer Ernährung und vieles mehr. Ohne eine Zukunft für die Natur keine Zukunft für die Gesellschaft, wie wir sie kennen. Keine Zukunft für uns. Wenn ich das sage, so ist das nicht zugespitzte Polemik, sondern das zeigen uns die wissenschaftlichen Fakten.
Das heurige Jahr hat uns gezeigt, welche gravierenden Auswirkungen durch nur eine Art – und sei es ein kleiner Virus – verursacht werden können. Um es klar zu sagen: auch die Corona-Pandemie ist ein Symptom der allgemeinen Umweltkrise, denn nur weil in vielen Weltgegenden oftmals bedrohte Wildtiere lebend und in großen Mengen gehandelt werden, können neue Krankheitserreger überhaupt erst auf den Menschen überwechseln.
Die nächsten Jahre werden entscheidend sein, um die Fieberkurve der Erde zu senken, und den Artenverlust zu stoppen.
- Runter mit dem Treibhausgasen, rasche und konsequente Umsetzung eines echten Green Deals. Kommissionspräsidentin von der Leyen hat vorige Woche eine Reduktion der Emissionen um 55% bis 2030 angekündigt, und eine Klimaneutralität bis 2050. Das ist ein wichtiges Ziel. Die österreichische Regierung muss hier voranschreiten, und einen grünen Wiederaufbau nach Corona einleiten.
- Stopp des Artenverlusts in Österreich – dafür braucht es die vom Österreichischen Biodiversitätsrat geforderte Biodiversitätsmilliarde.
- Wir brauchen eine neue Wirtschaft – investieren in die Zukunft muss sich lohnen, Ressourcenvergeudung muss bestraft werden. Das heißt, die rasche Einführung einer CO2-Steuer, und die Abschaffung von Steuerbefreiungen für Flugbenzin und fossile Dinosaurier.
Was können wir tun, was kann jeder einzelne dafür tun? Äußert Euch, wählt jene Politiker die sich für einen echten Wandel einsetzen, unterstützt Initiativen, die den gesellschaftlichen Wandel tragen. Und hinterfragt einen privaten Lebensbereich, ändert selbst einen Bereich eures Verhaltens. Das ist manchmal mühsam, aber befriedigend. Und: Viele kleine Schritte ergeben einen Marathon und ändern die Welt! Niemand sagt, dass eine Trendumkehr einfach ist. Aber, die Wissenschaft zeigt, dass sie möglich ist. Und nötig ist. Und ihr, und viele andere, die sich in Österreich, weltweit in den letzten Jahren für eine Zukunftspolitik eingesetzt haben, ihr seid der Beweis, dass die sehr viele, und immer mehr, Menschen den Wandel einfordern.
Und vergesst nicht: gemeinsam sind wir eine Macht, an der Niemand vorbei kann!
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8 Antworten auf „Ökologe Franz Essl: Auch die Corona-Pandemie ist ein Symptom der allgemeinen Umweltkrise“
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